Dienstag, 30. Dezember 2014

Der Zionismus - seine Theorien, Aussichten und Wirkungen (Teil 4)

IV. DIE WIRKUNGEN DES ZIONISMUS
a) Sein positiver Einfluss
Der offizielle Zionismus ist erst fünfzehn Jahre alt, im Bewußtsein der Zeitgenossen eine große Spanne Zeit, vor der Geschichte und ihren Zeiträumen ein armseliges Nichts. Es wäre natürlich verfehlt, schon heute nach seinen praktischen Leistungen ein völlig abschließendes Urteil über die in der Bewegung schlummernde Kraft zu fällen. Wir trauen zwar dem Arbeitsplane nicht viel zu, schon darum, weil er trotz der Einhelligkeit des Endziels doch eine sehr starke Zersplitterung zeigt und soviel Anfänge und Ansätze aufweist, daß kaum etwas davon durchgeführt werden kann. Das durch die falsche Theorie bedingte, endlich gültige wirkliche Scheitern kann sich jedoch erst nach Menschenaltern klar herausstellen.
Durchaus nicht spurlos dagegen ist seine politische Seite am jüdischen Leben vorübergegangen, und in den hier deutlich verspürbaren Wirkungen ist die Möglichkeit einer Probe auf das Exempel gegeben. Eine der Ideen nach schlechten Bewegung kann sich auf die Dauer nie in günstigen Einflüssen äußern, und das jüdische Leben von heute muß man studieren, um den Wert der Ideen, des sittlichen Kerns und der Berechtigung des Zionismus zu erfassen. An der Frucht erkennt man den Baum!
Eins sei vorausgeschickt: daß der Zionismus auf das jüdische Leben eine sehr anregende Wirkung gehabt hat, wird nicht bestritten werden können. Daß er viele Gleichgültige zur aktiven Arbeit herangezogen hat, daß er auch Gegner zur Vertiefung seines Standpunktes zwang, muß ihn der ehrliche Beurteiler ohne weiteres zustehen. Wenn aber der Zionismus sich auf diese Tatsache so ungeheuer viel zu Gute tut, wenn er es sogar so darstellt, als ob er das treibende Moment der gesamten modernen jüdischen Bewegung wäre, so liegt darin eine so arge Übertreibung, daß eine Zurückweisung sich erübrigt. Die gesamte „jüdische Renaissance“ unserer Tage stammt – das Wort selber ausgenommen – von Nichtzionisten her. Weder verdankt man den Zionisten die großartige, wissenschaftliche Arbeit, die von ihnen nicht beeinflußt, nicht gefördert, nicht gepflegt wird, noch haben sie an den Wohltätigkeitsinstitutionen etwas geschaffen. Höchstens versuchen sie, wie das Beispiel der deutschen Alliancegmeinschaft es beweist, das von anderen errichtete zu zerstören. Die Selbstbewußtseinsbewegung ist vor dem Auftreten des Zionismus gegründet worden und sie findet sogar auf Schritt und Tritt seine erbitterte Feindschaft. Die Erziehungsorganisationen, vor allem den Orden Bne B’rith, haben noch niemals mit dem Zionismus zu tun gehabt und blühen trotzdem zum Segen für das deutsche Judentum. Überall ist seine positive Arbeit gering, ja oft bremst er den wirklichen Fortschritt, wovon auch die aufblühende neutrale Jugendbewegung ein Lied zu singen weiß. Mann läßt sich aber durch den unendlichen Wortschwall leicht täuschen, mit dem die Zionisten ihre Unternehmungen einleiten und begleiten. Da sie nun über eine unendliche Menge von redegewandten Agitatoren verfügen, sind ihre rednerischen Leistungen gewiß glänzend, und es ist im Interesse des Judentums nur erfreulich, daß Reden keine Taten sind. Hier liegt auch ihr wichtigster positiven Einfluß, denn vielleicht die nachhaltigste Einwirkung hat die zionistische Phraseologie gehabt. Die Bewegung hat einen eigenen Schatz von Schlagwörtern geschaffen, die sich nach etwas anhören, und die dann – leider, leider – unbesehen auch von den Gegnern selbst dort übernommen worden sind, wo sie halbe Phrase sind und bleiben. Wer in künftiger Zeit geschichtlich die Einflüße des Zionismus auf das Judentum des zwanzigsten Jahrhunderts untersuchen will, wird sie hautsächlich unter den Rubriken „Rhetorik“ und „Sprachschatz“ aufzusuchen haben.
Teil 3

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